Der Wiederaufbau der Museen nach dem Zweiten Weltkrieg
Durch die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt Kassel und viele ihrer historischen Bauwerke stark zerstört. Der Mitteltrakt von Schloss Wilhelmshöhe war größtenteils zertrümmert, lediglich ein Flügel hatte den Krieg unbeschadet überstanden. Die Gemäldegalerie an der Schönen Aussicht brannte im Inneren nahezu vollständig aus, das einst reich ausgestattete Treppenhaus sowie die Loggia mit ihren Wandbildern waren zerstört. Nur einige Marmorfiguren und Steinbänke überlebten die Bombardierung. Die Außenmauern der Gemäldegalerie standen nach dem Krieg zwar noch weitgehend, jedoch klaffte am Mittelbau entlang der Frankfurter Straße ein erhebliches Einschlagloch.1
Nach 1945 setzte eine rege und lang anhaltende Diskussion über den Wiederaufbau der Museen ein. Diskutiert wurde zum einen, welche der zerstörten Museumsgebäude wieder aufgebaut werden sollten, und zum anderen, welchen Verwendungszweck sie in Zukunft zu erfüllen hätten. Da die umfangreichen Sammlungsbestände der Staatlichen Museen durch Auslagerungen weitestgehend erhalten geblieben waren, machte man sich nun auf die Suche nach einem neuen musealen Gesamtkonzept. Zentraler Bezugspunkt war die gemeinsame Unterbringung der Gemäldegalerie und der Antikensammlung, als den beiden prestigeträchtigsten Sammlungsbeständen.

Oberlichtraum im dritten Obergeschoss von Schloss Wilhelmshöhe mit der 1974 eingerichteten Ausstellung der Gemäldegalerie, Aufnahme 1993.
In Betracht kamen zunächst einmal die früher museal genutzten Bauten, die Galerie an der Schönen Aussicht, das Museum Fridericianum und das Landesmuseum, das am wenigsten von den Zerstörungen betroffen war und deshalb provisorisch die aus den Auslagerungsstätten zurückkehrenden Werke beherbergen konnte. Die Gemälde brachte man dort zunächst im Obergeschoss unter, was jedoch die Rückkehr der vor dem Krieg in diesem Haus ausgestellten Sammlungen, darunter der Antikensammlung, behinderte. Für sie wurde schon früh nach zusätzlichem Raum gesucht, wobei eine Zusammenführung mit den Gemälden an deren altem Standort Priorität erhielt. Pläne der Architekten Köhler und Lauterbach aus den 1950er Jahren für einen Neubau an Stelle des zerstörten Eingangs der Gemäldegalerie oder als ein daneben in den Hang eingesenkter länglicher Anbau in Anlehnung an das neue Akropolis-Museum in Athen wurden jedoch niemals realisiert.
Denn die Zielsetzung, die Antikensammlung und die Gemäldegalerie im oder bei dem alten Galeriegebäude als zentralem Kunstmuseum zusammenzuführen, wurde in der Öffentlichkeit zunehmend kritisiert. Es wurde beanstandet, dass der Gesamtcharakter des Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß sei und man die Räume nicht flexibel nutzen könne. Sogar die einst gerühmten Lichtverhältnisse der Gemäldegalerie wurden bemängelt und schließlich ihr sofortiger Abriss gefordert. Hintergrund dieser Einschätzung war eine deutliche Interessenverlagerung, da weite Kreise aus Stadt und Land den Ausbau von Schloss Wilhelmshöhe als Standort für das neue Kunstmuseum favorisierten.2

Seitenlichtraum im Erdgeschoss von Schloss Wilhelmshöhe mit der 1974 eingerichteten Ausstellung der Antikensammlung, Aufnahme vor 1998.
Erst 1962 reichte Erich Herzog, der Direktor der Staatlichen Museen, ein konsensfähiges Gesamtkonzept zum schrittweisen Wiederaufbau der Kassler Museumslandschaft bei der Landesregierung ein. Dieses sah vor, die wiederaufzubauende Galerie an der Schönen Aussicht nun als „Neue Galerie“ für die städtische Sammlung zur Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts und die wenigen entsprechenden staatlichen Bestände zu nutzen. Die staatlichen Kunstbestände aus früherer Zeit, die Antikensammlung, das Graphik-Kabinett und die jetzt „Gemäldegalerie Alte Meister“ genannte Bildersammlung, sollten dagegen im wiederaufgebauten Schloss Wilhelmshöhe untergebracht werden.
Schon im Vorfeld der Umsetzung dieses „Herzog-Plans“3 hatte der Wiederaufbau von Schloss Wilhelmshöhe begonnen. Der südliche Seitenflügel war bereits 1955 rekonstruiert worden, während der nördliche Seitenflügel und sein Verbindungsbau zum Mitteltrakt nach dem Krieg notdürftig vor Verfall geschützt worden waren.4 Mit dem Ausbau des Ensembles wurde 1958 der Architekt Paul Friedrich Posenenske beauftragt, obwohl sich der Beginn der Bauarbeiten noch bis 1963 hinauszögerte, da Meinungsverschiedenheiten über die Einzelheiten des Wiederaufbaues bestanden. Strittig war die Rekonstruktion der zerstörten Kuppel über dem Hauptgebäude und der schon vor der Kriegszerstörung geplante Abriss der erst im 19. Jahrhundert hinzugefügten Verbindungsbauten. Posenenske verzichtete auf die Kuppel, hielt aber an den Verbindungsbauten fest, da sie zur architektonisch sichtbaren Lebensgeschichte des Baudenkmals gehören würden.5
Seine Gestaltung folgte jedoch nicht nur denkmalpflegerischen Gesichtspunkten, sondern auch der zukünftigen Nutzung des Gebäudes als Gemäldegalerie, für die es ursprünglich nicht errichtet worden war. Die Verwendung großer Glasflächen statt der historischen Sprossenfenster für die Beleuchtung in den unteren Geschossen veranschaulicht das, ebenso wie das lichteinführende Sheddach für das oberste Geschoss anstelle der Kuppelwiederherstellung. Die Museumsräume, die 1974 eröffnet wurden, waren im Inneren mit sichtbaren Stahlkonstruktionen und flexiblen Raumteilern betont modern gestaltet. Ein Teil dieser Einrichtung ist bis heute noch erkennbar, obwohl der Architekt Stephan Braunfels das Innere, vor allem im obersten Geschoss, 1998–2000 neu gestaltet hat.

Raum im Obergeschoss der Neuen Galerie mit der von Erich Herzog eingerichteten Ausstellung von Kunst des 19. Jahrhunderts, Aufnahme 1976.
Beim gleichzeitigen Wiederaufbau der alten Gemäldegalerie als „Neue Galerie“ durch das Staatsbauamt wurde dagegen die äußere Gestalt des Gebäudes aus der Zeit vor seiner Zerstörung inklusive der Sprossenfenster weitgehend originalgetreu wiederhergestellt, obwohl dafür ein großer Teil der Fassaden mit neuem Baumaterial rekonstruiert werden musste.6 Im Inneren wurde die ursprüngliche Raumaufteilung jedoch erheblich verändert, um einen Rundgang zu ermöglichen. Anstelle des früheren großen Treppenhauses im südöstlichen Eingangspavillon trat eine in den Mitteltrakt verlegte Eingangs- und eine zweite, in den südwestlichen Pavillon eingefügte Ausgangstreppe. Die Ersteinrichtung durch Erich Herzog, die 1976 eröffnet wurde, sollte, anders als die Gestaltung von Posenenske im Schloss, den historischen Charakter der Außenarchitektur im Inneren mit verschiedenfarbigen Steinsorten für die Fußböden und Tapeten an den Zwischenwänden anklingen lassen.7 Ein durchgreifender Umbau des Architekten Volker Staab, der 2011 abgeschlossen wurde, hat die ursprüngliche Raumsituation des 19. Jahrhunderts teilweise wiederhergestellt und dabei die Spuren des ersten Wiederaufbaus vollständig getilgt.
Der widersprüchliche Umgang mit der historischen Substanz und den Problemen ihrer Wiedernutzbarmachung an den beiden beschriebenen Museumsstandorten in Kassel zeigt die Ambivalenz zwischen historischen Erinnerungswünschen und avantgardistischer Vergangenheitsablehnung, die für die Nachkriegszeit charakteristisch gewesen sind.
Marian Glaser, Nura Hauck, Cora Maria Rödiger (mit Olga Holzschuh, Isabel Meyer, Rahel Reglin)
- Eissenhauer, Michael (Hg.): Ein Haus für die Moderne. 25 Jahre Neue Galerie 1976–2001, Ausst.-Kat., Kassel, Neue Galerie, Kassel 2001, S. 10. ↩
- Eissenhauer 2001, S. 10. ↩
- Die Bezeichnung ist konventionell und nicht als Identifikation eines Autor zu verstehen, da es sich um die Zusammenfassung eines langen Planungsprozesses handelte, der in die Zeit von Herzogs Vorgänger zurückreichte. ↩
- Hinz, Berthold; Winter, Sascha (Hg.): Architekturführer Kassel, 1. Auflage, Berlin 2002, S. 134. ↩
- Posenenske, Paul Friedrich: Denkmalpflege über alles – z.B.: Schloss Wilhelmshöhe, in: Bauwelt 77, 1986, H. 16, S. 566-573, hier S. 569. ↩
- Eissenhauer 2001, S. 15. ↩
- Eissenhauer 2001, S. 15. ↩